Die Verwirkung

Wie im Zusammenhang des Scheidungsverfahrens bereits ausgeführt, wurde in Deutschland bereits mit Inkrafttreten des 1. Eherechtsreformgesetz am 1. 7. 1977 das Schuldprinzip in Scheidungsverfahren abgeschafft. Demnach können Ehepartner heute geschieden werden, ohne das es der Feststellung bedarf, wer an dem Scheitern der Ehe ‚schuld’ war. Das durch die Trennungszeit von mindestens einem Jahr manifestierte Scheitern der Ehe genügt, um die Scheidung der Ehe – ggfl. auch gegen den Willen eines Partners – durchzuführen.

An einer Stelle jedoch fließt der Gedanke des ‚Verschuldens’ noch in unser Scheidungsrecht ein und zwar an exponierter Stelle. Die Rede ist vom Unterhaltsrecht. Hier gilt das Prinzip, dass der Pflichtige nicht oder nur eingeschränkt dem Bedürftigen Unterhalt schuldet, wenn dieser wider den Interessen des Unterhaltsverpflichteten gehandelt hat oder handelt. Verankert ist dieser Grundsatz in Gesetz selbst, wobei die Aufzählung der zur Verwirkung führenden Verhaltensweisen abschließend ist:

§ 1579  Unterhaltsanspruch bei grober Unbilligkeit

Ein Unterhaltsanspruch ist zu versagen, herabzusetzen oder zeitlich zu begrenzen, soweit die Inanspruchnahme des Verpflichteten auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes grob unbillig wäre, weil

  1. die Ehe von kurzer Dauer war; der Ehedauer steht die Zeit gleich, in welcher der Berechtigte wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes nach § 1570 Unterhalt verlangen konnte, 
  2. der Berechtigte sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen den Verpflichteten oder einen nahen Angehörigen des Verpflichteten schuldig gemacht hat,
  3. der Berechtigte seine Bedürftigkeit mutwillig herbeigeführt hat,
  4. der Berechtigte sich über schwerwiegende Vermögensinteressen des Verpflichteten mutwillig hinweggesetzt hat,
  5. der Berechtigte vor der Trennung längere Zeit hindurch seine Pflicht, zum Familienunterhalt beizutragen, gröblich verletzt hat,
  6. dem Berechtigten ein offensichtlich schwerwiegendes, eindeutig bei ihm liegendes Fehlverhalten gegen den Verpflichteten zur Last fällt oder 
  7. ein anderer Grund vorliegt, der ebenso schwer wiegt wie die in den Nummern 1 bis 6 aufgeführten Gründe.

 

zu Nr. 1:
Nach Auffassung des BGH ist eine Kurzehe dann anzunehmen, wenn von Eheschließung bis Rechtskraft der Scheidung (vgl. Kurzübersicht/Zeitschiene II – IV) nicht mehr als 3 in Ausnahmefällen 4 Jahre vergangen sind.

Hinweis: Wenn eheliche bzw. gemeinsame Kinder vorhanden sind, ist die Annahme einer sog. Kurzehe ausgeschlossen, da die Kindererziehungszeiten (also bis zu 16 Jahre) auf die Ehezeit anzurechnen sind.

 

zu Nr. 2
Verbrechen und schwere, vorsätzliche Vergehen: dies sind alle strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen von einiger Bedeutung, so dass zwar die im Rahmen einer ehelichen Auseinandersetzung verabreichte, einmalige Ohrfeige nicht zu berücksichtigen ist, jedoch Körperverletzung als solche, Betrug (z.B. durch Verheimlichen eigener Einkünfte), schwere fortgesetzte Verleumdung etc. fallen eindeutig unter diesen Tatbestand.

zu Nr. 3
Hier ist zu beachten, dass bei absichtlicher Nichtaufnahme des Berechtigten einer zumutbaren Erwerbstätigkeit bereits der Unterhaltstatbestand des § 1573 I BGB entfällt. Insoweit ist Nr. 3 ein sog. Auffangtatbestand. Die Anwendbarkeit beschränkt sich auf Verschwendung eigenen Vermögens (z.B. Zugewinnausgleichsummen) zur Erreichung der Mittellosigkeit und Fällen, in denen Drogenabhängige, der seine Krankheit erkennt, notwendige Behandlungsmaßnahmen zu unternehmen.

zu Nr. 4
Hier z.B. Mitwirkung an der Aufkündigung von Geschäftsbeziehungen, Denunziation beim Arbeitsgeber, mit dem Ziel, dass der Betroffene seinen Arbeitsplatz verliert o.ä..

zu Nr. 5
Gegeben, wenn der Ehepartner während des Zusammenlebens seiner Verpflichtung zum Familienunterhalt beizutragen, trotzdem Erwerbsfähigkeit besteht, nicht nachkommt und die Familie hierdurch in eine Notlage gerät, z.B. aber auch das Vertrinken oder Verspielen des Lohns. Zu beachten ist, dass ausdrücklich nur der Unterhalt im Rahmen des Zusammenlebens gemeint ist und nicht der Unterhalt in der Trennungszeit.

zu Nr. 6
Hier nun der am häufigsten in der Praxis herangezogene Tatbestand. Ein eindeutiges und offensichtlich schwerwiegendes, eindeutig beim Berechtigen liegendes Fehlverhalten des Berechtigten, wird angenommen wenn: Bei einer Gesamtabwägung des Verhaltens beider Parteien eine Unterhaltsverpflichtung einem objektiven Betrachter wegen vom Unterhaltsberechtigten begangener gravierender Ehewidrigkeit unerträglich erscheinen muss (BGH FamRZ 1997, 873,875).

Angenommen wurde eine schwerwiegendes einseitiges Fehlverhalten nach der Rechtsprechung insbesondere bei Verstößen gegen die eheliche Treuepflicht durch Aufnahme länger andauernder intimer Beziehungen zu einem neuen Partner, wenn es dadurch zum Scheitern der Ehe kam, ferner bei Aufnahme intimer Beziehungen zu wechselnden Partnern und bei dem Zusammenleben mit einem Dritten gegen den Willen des Ehepartners.

Hinweis:
Sind gemeinsame Kinder vorhanden, führt ein derartiger nachgewiesener Vorwurf nicht zur gänzlichen Verwirkung sondern nur zu einer Herabsetzung des Unterhaltsanspruches.

 

Hinweis:
Wenn der Nachweis des Vorwurfs nicht gelingt oder aber der Partner nachweist, dass die Ehe nicht intakt war, also den Vorwerfenden selbst ein Verstoß gegen die eheliche Treue- oder auch Solidaritätspflicht trifft, ist eine Verwirkung nicht anzunehmen.

 
zu Nr. 7
Dieser Tatbestand stellt eine Art Auffangtatbestand dar – d.h. er greift dann ein, wenn Nr.1 – Nr.6 nicht erfüllt sind – die Unterverpflichtung aber dessen ungeachtet unzumutbar erscheint.

Dies wird vor allem angenommen, wenn der Partner sich zwar erst nach der Trennung einem neuen Partner zugewandt hat, nunmehr aber bereits seit Jahren mit diesem zusammenlebt, so dass davon ausgegangen werden kann, dass das nichtehelichen Zusammenleben an die Stelle einer Ehe getreten ist. Ohne gemeinsames Wohnen und Wirtschaften wird es trotz einer neueren BGH Entscheidung, die auch in einem solchen Fall eine sogenannte Wirtschaftgemeinschaft annimmt, wenn das äußere Erscheinungsbild der Partnerschaft einer eheähnlichen Beziehung entspricht, nur sehr schwer möglich sein.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass bei den hier aufgezählten Verstößen des unterhaltsberechtigten Ehepartners gegen die Interessen des zum Unterhalt Verpflichteten eine aus dem Prinzip der eheliche Solidarität entspringende Unterhaltungspflicht nicht zu rechtfertigen ist. Dabei ist es unausweichlich, dass sobald sich ein Partner auf die hier in der gebotenen Kürze geschilderten Tatbestände beruft, tief in die ehelichen und zum überwiegenden Teil intimen Lebensverhältnisse eingedrungen wird. Denn da die Existenz des durch die Vorhalte bedrohten Partners auf dem Spiel steht, wird dieser nichts unversucht lassen, die Vorwürfe und sei es mit Gegenvorwürfen auszuräumen. Zudem muss bedacht werden, dass der sich auf die Verstöße berufende Partner diese zu beweisen hat – was naturgemäß im Einzelfall recht schwierig sein kann.

Bevor also ein – noch so gerechtfertigter – Unterhaltsprozess geführt wird, sollte die Beweislage gut recherchiert und die Risiken ausführlich abgewogen werden. Sie sollten über derartige Erwägungen offen und ausführlich mit Ihrem Anwalt sprechen, um nicht ohne Aussicht auf Erfolg gerichtliche Verfahren einzuleiten, die am Ende als einziges Ergebnis dazu führen, dass eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Partner ausgeschlossen wird..